12-Stunden-Tag Faktencheck - was ändert sich?
Der Nationalrat hat kürzlich eine heftig umstrittene Änderung des Arbeitszeitgesetzes (hier direkt zum Gesetzestext) – Stichwort 12-Stunden-Tag bzw. 12 Stunden Tag – beschlossen. Durch eine Abänderung des Entwurfs in letzter Minute tritt das Gesetz bereits mit 1.9.2018 in Kraft.
Die beschlossene Ausweitung der täglichen und wöchentlichen Höchstarbeitszeiten auf 12 bzw. 60 Stunden macht künftig mehr Überstunden möglich. Gleichzeitig wurde bei der Gleitzeit die zulässige Normalarbeitszeit von 10 auf 12 Stunden angehoben.
Welche Auswirkungen haben diese Änderungen auf bestehende und künftige Betriebsvereinbarungen? Was bedeutet das für die Auslegung und Gestaltung bestehender und künftiger Arbeitsverträge? Ändert sich etwas bei der Bezahlung von Überstunden? Welche Maßnahmen müssen Betriebe ergreifen, um die neuen gesetzlichen Möglichkeiten zu nützen?
Hier geben wir Ihnen einen prägnanten Überblick, was sich mit der Einführung des 12-Stunden-Tags ändert. Sie erfahren auch, worauf Arbeitgeber achten sollten und wie wir Sie dabei unterstützen können.
Änderungsbedarf bei Betriebsvereinbarungen
12-Stunden-Tag bei erhöhtem Arbeitsbedarf
Bestehende Rechtslage
Bei vorübergehend auftretendem besonderen Arbeitsbedarf war zur Verhinderung unverhältnismäßiger wirtschaftlicher Nachteile eine Tagesarbeitszeit von 12 Stunden und eine Wochenarbeitszeit von 60 Stunden schon bisher möglich. Sie war aber an den Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung gekoppelt. Häufig enthalten solche Betriebsvereinbarungen besondere Entgeltregelungen (besondere Zeit- oder Geldzuschläge), obwohl dies im Gesetz nicht vorgesehen ist. Spezielle Entgeltregeln sind daher schon bisher als „freie Betriebsvereinbarung“ zu werten.
Neue Rechtslage
Die Voraussetzung einer Betriebsvereinbarung zur Einführung des 12-Stunden-Tags bei besonderem Arbeitsbedarf entfällt. Künftig ist ein Abschluss von Betriebsvereinbarungen – und die Erbringung von „Gegenleistungen“ dafür – nicht mehr erforderlich. Grundsätzlich ist eine Kündigung bestehender Betriebsvereinbarungen möglich. Allerdings ist dabei im Einzelnen zu prüfen, ob allfällige Zuschlagsregelungen nicht als betriebliche Übung für MitarbeiterInnen weiter gelten.
12-Stunden-Tag und 4-Tage-Woche
Bestehende Rechtslage
Das Arbeitszeitgesetz ermöglicht (auch weiterhin) eine Ausweitung der täglichen Normalarbeitszeit auf 10 Stunden, wenn die Arbeitszeit mit Betriebsvereinbarung auf vier Tage pro Woche verteilt wird. In diesem Fall konnte die Betriebsvereinbarung vorsehen, dass durch Überstunden bis zu 12 Stunden gearbeitet werden darf.
Neue Rechtslage
Die generelle Möglichkeit durch Überstunden bis zu 12 Stunden täglich zu arbeiten, macht das Erfordernis einer Betriebsvereinbarung überflüssig. 12-Stunden-Tag und Vier-Tage-Woche können also künftig kombiniert werden, sie müssen aber nicht. Bestehende Betriebsvereinbarungen können weiterbestehen, Optimierungsmöglichkeiten müssen individuell geprüft werden
Gleitzeit
Bestehende Rechtslage
Bislang durfte die tägliche Normalarbeitszeit bei Gleitzeit 10 Wochenstunden nicht überschreiten. Bestand ein zuständiger Betriebsrat, war (und bleibt) der Abschluss einer Betriebsvereinbarung Voraussetzung für die Einführung von Gleitzeit.
Neue Rechtslage
Die tägliche Normalarbeitszeit darf bei Gleitzeit fünfmal pro Woche 12 Stunden betragen. Um die neuen gesetzlichen Möglichkeiten bei Gleitzeit nützen zu können, wird eine Anpassung der Betriebsvereinbarung notwendig sein, da in der Regel bisherige Betriebsvereinbarungen eine 10-stündige Normalarbeitszeit bei Gleitzeit vorsehen. Grundsätzlich können bestehende Betriebsvereinbarungen ohne Nachwirkung gekündigt werden. Die sinnvollste Vorgangsweise muss dabei sicher im Einzelnen geprüft werden.
Für Verwirrung sorgte im Zusammenhang mit der Gleitzeit die mediale Ankündigung des IV-Präsidenten, dass Überstundenzuschläge für Gleitzeitbeschäftigte entfallen. Tatsächlich sind vom Dienstgeber angeordnete Überstunden wie bisher auch künftig ab der neunten Arbeitsstunde zuschlagspflichtig. In der betrieblichen Praxis wird die nachvollziehbare Anordnung von Überstunden bei Gleitzeitbeschäftigten aber wohl eher die Ausnahme darstellen.
Was ist für Arbeitgeber zu tun?
Vor allem bei der Gleitzeit gibt es für Betriebe Anpassungsbedarf bei Betriebsvereinbarungen, um die neuen gesetzlichen Möglichkeiten tatsächlich nutzen zu können. Aber auch bei bestehenden Betriebsvereinbarungen wegen erhöhten Arbeitsbedarfs gibt es unter Umständen betriebliche Optimierungsmöglichkeiten, die im Einzelfall geprüft werden sollten. Einen medial kolportierten Automatismus zwischen 4-Tage-Woche und 12-Stunden-Tag gibt es jedenfalls nicht und sind hier sowohl betriebliche, als auch individuelle Lösungen denk- und verhandelbar.
Änderungsbedarf bei Arbeitsverträgen?
Anwendungsbereich des Arbeitszeitgesetzes
Bestehende Rechtslage
Neben einer Reihe von Arbeitnehmern, die Sondergesetzen unterliegen (öffentlich Bedienstete, Bäcker etc.) waren nur „leitende Angestellte, denen maßgebliche Führungsaufgaben selbstverantwortlich übertragen sind“ vom Arbeitszeitgesetz ausgenommen.
Neue Rechtslage
Nunmehr sollen auch Familienangehörige (des Arbeitgebers) und alle Arbeitnehmer, denen maßgebliche Entscheidungsbefugnis eingeräumt ist, vom Arbeitszeitgesetz ausgenommen sein, wenn eine von zwei Bedingungen erfüllt ist:
- die gesamte Arbeitszeit kann aufgrund der besonderen Art der Tätigkeit nicht im Vorhinein festgelegt werden; oder
- die Arbeitnehmer können Lage und Dauer der Arbeitszeit selbst festlegen.
Zur Frage, wann „maßgebliche Entscheidungsbefugnis“ vorliegt, äußern sich die Erläuterungen zum Gesetzesantrag nur sehr kryptisch: Die Ausnahme solle auch für die „dritte Führungsebene“ gelten.
Die Nichtanwendbarkeit des Arbeitszeitgesetzes hat weitreichende Folgen für Unternehmen und Beschäftigte und hat Regelungsbedarf in bestehenden Dienstverträgen zur Folge (z.B. betreffend Aufzeichnungspflichten, Begrenzung und Abgeltung von Arbeitszeit und Überstunden). Gerade für Abteilungs- und Teamleiter sollten daher Dienstverträge einer nochmaligen Prüfung unterzogen werden.
Anordnung von Überstunden
Bestehende Rechtslage
Bislang galt für Überstunden eine Begrenzung auf fünf Überstunden pro Woche und sechzig weitere Überstunden pro Jahr, wobei nicht mehr als 10 Überstunden pro Woche angeordnet werden durften. Ausnahmen konnten durch Kollektivverträge vorgesehen werden und bestanden insbesondere in Gastronomie und Tourismus.
Neue Rechtslage
Nach der Gesetzesänderung können Überstunden bis zu 12 Stunden täglich und 60 Stunden pro Woche angeordnet werden, solange im Durchschnitt von 17 Wochen die Wochenarbeitszeit von 48 Stunden nicht überschritten wird. In der Regel sehen Arbeitsverträge ohnehin bereits die Verpflichtung zur Erbringung von Überstunden ohne Einschränkung auf bestimmte Zahlenwerte vor. Eine Anpassung von Dienstverträgen, um zusätzliche Überstunden anzuordnen, wird daher im Normalfall nicht erforderlich sein.
„Freiwilligkeit“
Bestehende Rechtslage
Überstunden dürfen nur angeordnet werden, wenn „berücksichtigungswürdige Interessen des Arbeitnehmers nicht entgegenstehen“. Schon bisher galt in manchen Konstellationen für Überstunden nach der 10. Arbeitsstunde ein Ablehnungsrecht und ein Benachteiligungsverbot.
Neue Rechtslage
Das bestehende Ablehnungsverbot wird verallgemeinert. Bei mehr als 10 Arbeitsstunden pro Tag oder mehr als 50 Arbeitsstunden pro Woche kann der Arbeitnehmer die Erbringung von Überstunden auch ohne Begründung ablehnen. Arbeitnehmer dürfen deshalb nicht benachteiligt werden, eine deshalb ausgesprochene Kündigung kann innerhalb von 14 Tagen angefochten werden. Die Praxistauglichkeit dieser Bestimmung bleibt abzuwarten.
Entgelt
Grundsätzlich sieht das Gesetz keine Änderung bei der Vergütung von Überstunden vor. Allerdings erhält der Arbeitnehmer ein Wahlrecht, ob er Überstunden jenseits der 10- bzw. 50-Stunden-Grenze ausbezahlt oder als Zeitausgleich haben möchte. Dieses Wahlrecht ist am Ende jeder Abrechnungsperiode auszuüben.
Unternehmen werden dafür neben Gleitzeit- und Durchrechnungskonten wohl ein weiteres Zeitkonto führen müssen bzw. auf einem allgemeinen Überstundenkonto solche Überstunden gesondert ausweisen müssen. Das Wahlrecht sorgt daher für Änderungsbedarf bei der Führung der Zeitkonten.
Gleitzeit
Bestehende Rechtslage
Bislang durfte die tägliche Normalarbeitszeit bei Gleitzeit 10 Wochenstunden nicht überschreiten. Bestand kein Betriebsrat, konnte (und kann weiterhin) eine individuelle Gleitzeitvereinbarung geschlossen werden.
Neue Rechtslage
Die tägliche Normalarbeitszeit darf bei Gleitzeit fünfmal pro Woche 12 Stunden betragen. Um die neuen gesetzlichen Möglichkeiten bei Gleitzeit nützen zu können, wird eine Anpassung von bestehenden Vereinbarungen und Vertragsmustern notwendig sein. In der Regel sehen Gleitzeitvereinbarungen nur eine 10-stündige Normalarbeitszeit bei Gleitzeit vor. Neben der Erweiterung der Normalarbeitszeit, müssen auch Gleitzeitrahmen – unter Beachtung der Ruhezeiten – angepasst werden. Musterverträge sollten daher jedenfalls im Einzelnen überprüft und überarbeitet werden.
All-In-Verträge
Grundsätzlich sieht das Gesetz keine Änderungen für All-In-Abgeltungen von Überstunden vor. In der Praxis stellen sich allerdings durch die Gesetzesänderung einige Fragen. Unterliegt z.B. ein Dienstverhältnis nicht mehr den Begrenzungen des Arbeitszeitgesetzes, ergibt sich für All-In-Verträge ein neuer Gestaltungsspielraum. Umgekehrt kann das Wahlrecht (siehe Punkt 4.) Überstunden aus dem Anwendungsbereich der All-In-Pauschale rausholen. Ganz allgemein ist umstritten, ob bei bestehenden All-In-Vereinbarungen Überstunden nach der 10. bzw. 50. Stunde abgedeckt ist. Bestehende All-In-Verträge und Mustervereinbarungen sollten daher ebenfalls dringend überprüft und angepasst werden.
Feiertags- und Sonntagsarbeit
Bestehende Rechtslage
Abweichungen von der Feiertags- und Sonntagsruhe sind für eingeschränkte Tätigkeiten durch Verordnung oder allgemein durch Kollektivvertrag möglich.
Neue Rechtslage
Künftig soll an vier Wochenenden oder Feiertagen pro Jahr durch Betriebs- oder Einzelvereinbarung von der Wochend- und Feiertagsruhe abgegangen werden können. Im Einzelnen ist bei Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung zu prüfen, ob die anvisierte Wochenendarbeit dienstvertraglich gedeckt ist. Das neue Ablehnungsrecht für Arbeitnehmer bezieht sich nur auf die Erbringung der Wochenendarbeit als Überstunden, nicht auf die Normalarbeitszeit.
Was ist für Arbeitgeber zu tun?
Bestehende Dienstverträge und Vertragsmuster sollten vor allem in Hinblick auf Gleitzeitvereinbarungen und All-In-Klauseln umfassend überarbeitet werden. Insbesondere für Abteilungs- und Teamleiter empfiehlt sich eine Prüfung, ob diese noch vom Geltungsbereich des Arbeitszeitgesetzes erfasst sind bzw. ob es vertraglicher Anpassungen bedarf. Ebenso muss bei Nutzung des 12-Stunden-Tags die Führung von Zeitkonten adaptiert werden. Die Umstellung sollte angesichts des nahenden Inkrafttretens am 1.9.2018 zeitnahe vorbereitet werden.
Wie können wir Ihnen helfen?
Wir unterstützen Sie gerne bei der Anpassung Ihrer bestehenden Gleitzeit-Betriebsvereinbarung, bestehender Dienstverträge und Mustervereinbarungen. Wir beraten Sie auch gerne bei der Prüfung der Anpassung Ihrer Zeitkontenverwaltung und möglicher bzw. sinnvoller vertraglicher Anpassungen. Wir beantworten Ihnen natürlich auch gern alle anderen arbeitszeitrechtlichen Fragen.